Gewaltattacken auf Giffey und Grünen-Wahlkämpferin - Härtere Strafen? Von Anne-Beatrice Clasmann, Andreas Rabenstein und Jasmin Beisiegel, dpa

Während die Innenminister überlegen, wie man die Gewalt gegen
Politiker und Politikerinnen stoppen kann, werden zwei weitere Frauen
attackiert. Eine von ihnen ist Franziska Giffey.

Berlin/Dresden (dpa) - Die Serie brutaler Angriffe auf Politikerinnen
und Politiker reißt nicht ab. Wie in der Nacht zum Mittwoch bekannt
wurde, schlug ein Mann der Berliner Wirtschaftssenatorin Franziska
Giffey (SPD) am Dienstagnachmittag bei einem Termin in einer
Bibliothek ohne Vorwarnung mit einem Beutel, in dem sich ein harter
Gegenstand befand, auf den Kopf und verletzte sie dabei leicht. In
Dresden wurde die Grünen-Spitzenkandidatin für den Stadtrat, Yvonne
Mosler, beim Aufhängen von Wahlplakaten angerempelt und bedroht. 

In beiden Fällen konnten die Tatverdächtigen laut Staatsanwaltschaft
rasch ermittelt werden. Bei dem Mann, der Giffey attackiert haben
soll, gibt es den Angaben zufolge «Anhaltspunkte für eine psychische
Erkrankung». Der 74-Jährige sei bei der Polizei bereits bekannt, es
gebe Erkenntnisse aus dem Bereich der Hasskriminalität, hieß es am
Mittwoch in einer gemeinsamen Mitteilung der Berliner
Staatsanwaltschaft und der Polizei. Die Ermittlungen zum Motiv
dauerten jedoch noch an. Der Mann wurde vorläufig in einem
psychiatrischen Krankenhaus untergebracht, wie die Berliner
Generalstaatsanwaltschaft auf X mitteilte. Seine Wohnung wurde
durchsucht. 

Bundeskanzler Olaf Scholz verurteilte die Gewaltattacken. «Die
Angriffe auf Franziska Giffey und andere Politikerinnen und Politiker
sind empörend und feige. Wer sich engagiert, verdient Respekt»,
schrieb der SPD-Politiker in einem Beitrag auf der Plattform X.
Gewalt gehöre nicht in die demokratische Auseinandersetzung.

BKA-Chef besorgt über Zahl der körperlichen Angriffe 

BKA-Präsident Holger Münch äußerte sich besorgt über die Entwickl
ung.
Im gesamten vergangenen Jahr habe das Bundeskriminalamt 27
körperliche Angriffe auf Politiker gezählt, in diesem Jahr schon 22,
sagte der Behördenchef in Bremen. Aber auch die Zahl der
Beleidigungen sei deutlich angestiegen. Von Beleidigungen seien die
Grünen bundesweit am stärksten betroffen, von Körperverletzungen die

AfD.

Münch plädierte mit Blick auf die Europawahl und die Kommunalwahlen
in einigen Bundesländern am 9. Juni für gezielte Maßnahmen. Die
Polizei könne nicht alle Politiker und Wahlkampfhelfer schützen. «Wir

dürfen uns nicht der Illusion hingegeben, dass das alles mit einem
polizeilichen Schutz endet.» 

Giffey will weiter engen Austausch mit Bürgern  

Giffey teilte auf Instagram mit, sie habe sich auf ein Gespräch mit
der Leiterin der Bibliothek konzentriert und dann plötzlich von
hinten einen harten Schlag an Kopf und Nacken gespürt. «Ein Mann
hatte mich mit einem Beutel, gefüllt mit hartem Inhalt, attackiert.»
Die Senatorin nahm am Mittwoch öffentliche Termine wahr. Sie sagte
vor Journalisten: «Es wird immer Situationen geben, wo Menschen
zusammenkommen und wo es auch Auseinandersetzungen gibt. Sie können
nicht alles absichern.» Politiker dürften nicht so abgeschirmt
werden, dass dabei die Bürgernähe verloren gehe.

Zum besseren Schutz von Politikern und ehrenamtlichen Wahlkämpfern
gegen Angriffe setzen die Innenminister von Bund und Ländern auf mehr
Polizeibegleitung sowie auf die Prüfung eines schärferen Strafrechts.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und die
Innenministerkonferenz der Länder forderten bei einer Videokonferenz
am Dienstagabend ein Ende von Gewalt und Hetze. 

Die Schalte war nach einem brutalen Angriff auf den SPD-Politiker
Matthias Ecke in Dresden am vergangenen Freitag anberaumt worden. Das
Bundesjustizministerium sehe aktuell keine konkreten
Strafbarkeitslücken, sagte eine Sprecherin am Mittwoch. Man werde die
von den Innenministern gemachten Vorschläge aber «wohlwollend
prüfen». 

Nicht alle sind überzeugt von härteren Strafen

Der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion,
Konstantin Kuhle, sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Härtere
Strafen sind schnell gefordert - vor allem kurz nachdem
öffentlichkeitswirksame Straftaten erfolgt sind.» Polizeibeamte vor
Ort und eine gut ausgestattete, zügig arbeitende Justiz seien aber
viel wirkungsvoller. «Strafrecht und Strafjustiz können nicht der
Reparaturbetrieb für eine allgemeine gesellschaftliche Verrohung
sein», gab Kuhle zu bedenken.

Ähnlich äußerte sich der Deutsche Richterbund (DRB). «Mit
Gesetzesverschärfungen wäre nichts gewonnen, solange es wegen großer

Personallücken im Gesetzesvollzug hakt», sagte
DRB-Bundesgeschäftsführer, Sven Rebehn. Gleichzeitig betonte er, die
Justiz trete der sich immer schneller drehenden «Spirale von Hass,
Bedrohungen und Gewalt» mit Nachdruck entgegen und werde die Täter
schnellstmöglich zur Verantwortung ziehen. 

Rempelei und Spuck-Attacke in Dresden

In Dresden wurde wenige Tage nach dem Angriff auf den
SPD-Europaabgeordneten Matthias Ecke erneut eine Politikerin beim
Aufhängen von Plakaten angegriffen. Wie die Dresdner Grünen
mitteilten, waren Mosler und der Co-Spitzenkandidat Cornelius
Sternkopf am frühen Dienstagabend zusammen mit Helfern unterwegs
gewesen, um Plakate aufzuhängen. Schon von Weitem habe ihnen eine
Gruppe rechtsextreme Parolen entgegengerufen. Ein Mann aus dieser
Gruppe habe die beiden Kandidaten beiseite gedrängt, als sie gerade
ein Plakat aufgehängt hatten, und das Plakat abgerissen. Das
Fernsehteam der Deutschen Welle filmte ihn dabei, Mosler und weitere
anwesende Journalisten fotografierten. 

Angreifer wollte Löschung von Foto erzwingen

Wenig später kam der Mann den Angaben zufolge in Begleitung einer
Frau aus der Gruppe zurück, bedrohte Mosler und forderte sie auf, das
Foto von ihm von ihrem Mobiltelefon zu löschen. Ein junger
Wahlkampfhelfer habe sich daraufhin schützend vor die Kandidatin
gestellt. Die Frau aus der Gruppe habe Mosler ins Gesicht gespuckt.

Polizeibeamte stellten kurz nach dem Vorfall eine 24-jährige Frau und
einen 34-jährigen Mann in unmittelbarer Nähe. Gegen den 34-Jährigen
werde wegen Körperverletzung, Bedrohung, Beleidigung und
Sachbeschädigung ermittelt, gegen die 24-jährige Deutsche wegen
Körperverletzung. 

Ebenso wie im Fall Ecke stammen die Angreifer mutmaßlich aus dem
rechten Spektrum. Die Polizei wollte sich auf Anfrage zwar zunächst
nicht zum Hintergrund der Tatverdächtigen äußern. Sie bestätigte
aber, dass auch wegen des Verwendens von Kennzeichen
verfassungswidriger Organisationen ermittelt werde, da aus der Gruppe
der Angreifer heraus der Hitlergruß skandiert worden sei. Beide
Verdächtige blieben auf freiem Fuß.

In anderen europäischen Staaten sind brutale Attacken im Wahlkampf
eher selten, mit Ausnahme von Serbien. In der Slowakei gab es im
Wahlkampf für die Parlamentswahl am 30. September 2023 verschiedene
Vorfälle: Am bekanntesten wurde eine Prügelei zwischen dem
konservativ-populistischen Ex-Regierungschef Igor Matovic und
Politikern der linkspopulistischen Partei Richtung-Sozialdemokratie»
von Robert Fico, die dann die Wahl gewann.