Zulassungsaus für den Corona-Impfstoff «Vaxzevria» - Ist das ungewöhnlich? Von Annett Stein, dpa

In Deutschland wird der Corona-Impfstoff «Vaxzevria» ohnehin schon
länger nicht mehr verwendet, nun wurde auf Wunsch des Herstellers die
Zulassung in der EU beendet. Warum wurde nicht einfach nur der
Verkauf gestoppt, fragen sich nun manche. Doch der Schritt ist
keineswegs ungewöhnlich.

Berlin (dpa) - Für den Corona-Impfstoff «Vaxzevria» gibt es auf
Wunsch des schwedisch-britischen Pharmaunternehmens Astrazeneca keine
Zulassung in der EU mehr. Der Konzern gibt «kommerzielle Gründe» an.

In sozialen Medien wird seither über mögliche andere Ursachen
spekuliert - auch wenn es von der EU-Kommission längst hieß, «dass
die Entscheidung nicht auf Zweifeln an Sicherheit oder Wirksamkeit
des Impfstoffes beruht». Womöglich ist vielen nicht klar, dass ein
solcher Schritt keineswegs mysteriös ist, wie ein Fachverband
erläutert.

Ist eine Aufhebung der Zulassung auf Antrag des Herstellers
ungewöhnlich?

Nein. Das zeigen allein schon die Werte für Deutschland: «Jährlich
wird typischerweise bei 5 bis 10 Originalmedikamenten die Zulassung
zurückgenommen, fast immer aus kommerziellen Gründen», teilte Rolf
Hömke, Forschungssprecher beim Verband Forschender
Arzneimittelhersteller (vfa), in Berlin mit. «Zum Vergleich: Im
Schnitt werden pro Jahr in Deutschland rund 36 Medikamente mit neuem
Wirkstoff neu eingeführt.» 

Hintergrund sei oft, dass es mittlerweile zur Behandlung der
betreffenden Krankheit noch bessere Medikamente gibt und die alten
deshalb kaum noch zum Einsatz kommen und entbehrlich sind.

Zu «Vaxzevria» hatte Astrazeneca erklärt, dass es inzwischen einen
Überschuss an verfügbaren aktualisierten, also an neue Varianten
angepassten Impfstoffen gebe. «Dies hat zu einem Rückgang der
Nachfrage nach «Vaxzervria» geführt, das nicht mehr hergestellt oder

geliefert wird.»

Gab es solche Fälle auch schon bei Corona-Impfstoffen?

Ja. Erst im März wurde von der Europäischen Arzneimittel-Agentur
(EMA) auf Antrag des Herstellers Sanofi Pasteur die Zulassung für den
Corona-Impfstoff «VidPrevtyn Beta» beendet, im Oktober die für den
Corona-Impfstoff «Valneva» des Unternehmens Valneva Austria. In
beiden Fällen wurden ebenfalls kommerzielle Gründe angegeben. Für
Auffrischimpfungen zum Schutz vor schweren Covid-19-Verläufen sind
inzwischen vorwiegend an neu aufgekommene Corona-Varianten angepasste
mRNA-Impfstoffe im Einsatz. Auch bei Impfstoffen gegen andere
Krankheiten gebe es Beispiele für eine Rücknahme der Zulassung, sagte
Hömke. So sei etwa die Zulassung für den Impfstoff «Fluenz» gegen
saisonale Grippe (2011-2014) zurückgenommen worden, als das
Nachfolgeprodukt «Fluenz4» eingeführt wurde, das vor mehr
Grippevirenstämmen schützen könne.  

Warum stellen die Unternehmen nicht einfach nur die Produktion ein?

«Wir können nicht sagen, wie Unternehmen im Einzelfall zwischen einem
Antrag auf Zulassungsrücknahme oder einem «außer Vertrieb»-Stellen

abwägen», erklärte Hömke. Ein Erwägungsgrund sei aber sicherlich,

dass Unternehmen eine Jahresgebühr für das Aufrechterhalten einer
Zulassung bei der Arzneimittelbehörde EMA bezahlen müssen. «Ein
weiterer ist, dass ein Hersteller für alle seine zugelassenen
Produkte immer wieder «Periodic Safety Update Reports» erstellen und
bei der EMA anliefern muss ? selbst dann, wenn er ein Produkt gar
nicht vermarktet.» Das binde Zeit und Ressourcen.

Worauf basiert «Vaxzevria»?

«Vaxzevria» ist ein sogenannter Vektorimpfstoff auf Basis eines
Virus, in den das Gen zum Aufbau des Spike-Proteins des neuartigen
Coronavirus eingebracht wurde. Dadurch bildeten Geimpfte
Spike-Proteine, die eine Immunantwort auslösten. Eine erste
Notfallzulassung hatte der Impfstoff Ende Dezember 2020 in
Großbritannien erhalten. Ende Januar 2021 wurde eine - zunächst
bedingte - Zulassung in der Europäischen Union erteilt.

Welche möglichen Nebenwirkungen einer «Vaxzevria»-Impfung sind
bekannt?

Die Zulassungsstudien zeigten für Impfungen normale Reaktionen wie
Schmerzen an der Einstichstelle, Müdigkeit und allgemeines Unwohlsein
sowie Kopfschmerzen und in seltenen Fällen weitere mögliche
Komplikationen. Als sehr seltene schwerwiegende Nebenwirkung wurde im
Zuge der massenhaften Impfungen das
Thrombose-mit-Thrombozytopenie-Syndrom (TTS) beobachtet, meist zwei
bis drei Wochen nach der Impfung. Dabei treten Blutgerinnsel in
Kombination mit einer Thrombozytopenie ? einem Mangel an
Blutplättchen ? auf. In einem Teil der Fälle kam es zu
Hirnvenenthrombosen.

Wie wurde auf den Zusammenhang zwischen «Vaxzevria»-Impfung und
erhöhtem Thromboserisiko reagiert?

Im Frühjahr 2021 wurden «Vaxzevria»-Impfungen nach Berichten über
Hirnvenenthrombosen in einigen europäischen Ländern, darunter
Deutschland, zeitweise ausgesetzt. Dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI)
zufolge wurden bei rund 8,5 Millionen verabreichten Impfdosen bis 25.
Mai 2021 insgesamt 94 Fälle von TTS in Deutschland gemeldet, 17
Menschen starben. Zwei Drittel der Betroffenen waren jünger als 60.

Unter anderem die Arzneimittelbehörde EMA nahm die Fälle unter die
Lupe. Ergebnis: Der Nutzen der Impfung überwiege eindeutig das Risiko
extrem seltener potenzieller Nebenwirkungen. Bis zum Widerrufen der
Zulassung mit Beschluss vom 27. März 2024 gab es eine
uneingeschränkte Empfehlung der EMA. 

In Deutschland empfahl die Ständige Impfkommission (Stiko) ab Ende
März 2021 eine Verimpfung nur noch an Menschen über 60 Jahre. Schon
seit längerem wird der Impfstoff anders als an Varianten angepasste
mRNA-Impfstoffe hierzulande gar nicht mehr eingesetzt.

Gab es in Deutschland Klagen gegen Astrazeneca?

Ja. Im April zum Beispiel erzielte eine Frau aus Oberfranken im
Prozess um einen mutmaßlichen Corona-Impfschaden einen Teilerfolg
gegen den Hersteller. Astrazeneca wurde zu einer umfassenden Auskunft
über Nebenwirkungen von «Vaxzevria» verurteilt. Bisher sei diese
Auskunft nicht eingegangen, teilte der Anwalt der Klägerin, Volker
Loeschner, am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur mit. Das
Schadensersatz- und Schmerzensgeldverfahren der Klägerin läuft
weiter. Ähnliche Klagen wurden auch andernorts eingereicht.